Zwischen Friedrichshain und Kreuzberg verläuft an der Spree ein Stück Stadt, das Geschichte atmet und zugleich ganz Gegenwart ist: die East Side Gallery als längste Freiluftgalerie der Welt und die Oberbaumbrücke als roter Backsteinbogen, der beide Ufer verbindet. Wer hier ankommt, spürt einen doppelten Puls – den stilleren der Wasserkante und den lebendigen der Besucher, Radfahrer und Straßenmusiker. Es ist ein Ort, an dem Berlin seine Vergangenheit nicht hinter Glas legt, sondern in den Alltag hineinschreibt. 🌉
Die East Side Gallery ist ein erhaltenes Teilstück der Mauer, nach 1989 von über hundert Künstlerinnen und Künstlern bemalt – ein 1,3-Kilometer-Band aus Bildern über Freiheit, Öffnung, Verletzung und Aufbruch. Bekannte Motive springen ins Auge, andere entdeckt man erst im zweiten Blick; manche sind frisch restauriert, andere tragen die Patina der Jahre. Der richtige Takt ist langsam: stehen bleiben, lesen, weitergehen, wieder stehen bleiben. Bitte nicht klettern, nicht beschriften – diese Wand ist ein Denkmal, kein Whiteboard, und gerade ihre Narben erzählen.

Am besten beginnst du am Ostbahnhof und läufst flussabwärts Richtung Oberbaumbrücke, mit Blicken, die sich zwischen Wasser und Wand aufteilen. Auf der Uferseite öffnen sich immer wieder kleine Terrassen, Stufen und Bänke; jenseits der Straße locken Bars, Cafés und Höfe, die sich in ruhige Hintergründe verwandeln, wenn dir der Strom zu dicht wird. Wer Umwege liebt, macht einen Abstecher zum Holzmarkt oder zur East-Side-Uferpromenade und kehrt später zur Galerie zurück – der Wechsel von Stillstand und Strecke tut dem Ort gut.
Die Oberbaumbrücke setzt ein elegantes Ausrufezeichen ans Ende des Wegs: neugotischer Backstein, zwei Türme, darüber die U1 wie ein gelber Faden, der von einem Ufer zum anderen zieht. Von oben blickst du über die Spree bis zum Fernsehturm, seitlich auf den „Molecule Man“, abends auf Lichter, die zu langen Streifen werden. Unten kreuzen sich Rad- und Fußwege, Straßenkünstler bauen Bühnen im Kleinen, und der Wind trägt den Flussgeruch unter die Arkaden. Dass hier einst eine Grenzquerung lag, spürst du weniger an Schildern als an der Selbstverständlichkeit, mit der heute alles miteinander verbunden ist.
Die Anreise ist einfach und fußfreundlich. S-Bahn Ostbahnhof bringt dich direkt an den Start, Warschauer Straße und Schlesisches Tor öffnen die Brückenseite; von dort sind es jeweils nur wenige Minuten zu Fuß. Der Uferweg ist weitgehend eben, Fahrräder teilen sich die Spur – vorausschauend gehen und fahren hilft allen. Frühmorgens gehört dir die Galerie für ruhige Bilder, am späten Nachmittag legt die Sonne warmes Licht auf Mauer und Wasser; im Winter zieht es an der Spree, eine Schicht mehr macht den Unterschied. Wasserflasche, bequeme Schuhe und ein halber Blick auf Taschen sind gute Gewohnheiten, nicht Ausdruck von Misstrauen.

Fotografisch lohnt Geduld. Weitwinkel fasst Wand und Fluss in einem Atemzug, ein Tele verdichtet Figuren, Pinselspuren und Backstein der Brücke. Nach Regen spiegeln Pfützen die Motive doppelt, zur blauen Stunde wird die Oberbaumbrücke zur Lichtskulptur. Wenn du länger bleiben willst, wechsle auf die Brücke und schau zurück über die Galerie – derselbe Ort, anderes Bild. Und wenn der Tag ausläuft, sitzt du am Kai, hörst dem Wasser zu und merkst: Berlin kann Erinnerung und Gegenwart zugleich, ohne die eine gegen die andere auszuspielen.
